Samba Pa Ti

In Gedanken mit Carlos Santana

Samba Pa Ti

Nur wer den Schmerz erlebt hat, kannte den Blues.

Nur wer Freude spürte, war in der Lage, den Blues zu spielen. Freude und Leid gehörten untrennbar zusammen. Ohne das eine konnte es das andere nicht geben.

Ich saß mit ihr im Studio. Rücken an Rücken. Wir sahen uns nicht an. Wir schauten bewusst in entgegengesetzte Richtungen. Aber wir spürten uns:

Back-to-Back and Skin-to-Skin

Ich wusste sofort, was ich spielen werden. Ein altes Stück Musik. Ein Blues von Carlos Santana: „Samba Pa Ti“.
Latin Blues. Nicht Samba.

Es war schön zu spüren, wie meine Musik Ruhe geben konnte. Die innere Unruhe wich langsam aus unseren Köpfen.

Eine kleine Improvisation … sanft und leise auf G-Dur, H-Moll, E-Moll und A-Moll7 und wieder zurück auf G. Mitnichten klangen diese Akkorde traurig! Es waren Carlos Akkorde. Ich nahm noch ein D-Dur und ein paar Septimen hinzu, dann wurde es tief, gefühlvoll, hineingleitend in eine Trance.

Die Musik umfing uns.

Ich spürte, wie sie sich wieder bewegte. Nun war es ein anderer Rhythmus. Es fühlte sich wohlig an. Sinnlich. Ich spürte ihre Haut warm an meinem Rücken.

Ich hatte das Bedürfnis, mich umzudrehen und sie anzuschauen. Aber ich widerstand diesem Wunsch und konzentrierte mich auf das Fühlen der Wärme.

Meine Augen blieben geschlossen. Das innere Auge sah Menschen besser als die äußeren Augen, die lediglich die Hülle erfassten.
Im Mittelteil von Samba Pa Ti änderte sich die Lage. Die Finger glitten auf dem Griffbrett hoch. Der Anschlag wurde lauter.
Ich hielt inne und ließ die Töne ausklingen.

Nein, ich würde jetzt nicht den lauten, starken Mittelteil spielen. Stattdessen leitete ich zu „Europa“ über. Ebenfalls von Santana.
Ich glitt vom Blues in eine Mischung aus Salsa und … wollte einfach nur fühlen: Musik und Haut. Ich wollte vergessen. Abtauchen in eine andere, schöne Welt voller Zufriedenheit.

Ich roch ‚l’Instant‘ von Guerlain. Ihr Parfum. Zum Glück roch ich nicht mich selbst.

Wir redeten kein Wort. Jedes einzelne davon würde nun stören.

Sie dominierte mein Denken, aber dennoch schweiften meine Gedanken ab. Ich merkte nicht, dass ich mich längst vom Fluss der Melodie entfernt hatte. Ich nahm ein Thema von Astor Piazzolla auf. Einen Tango Nuevo. Ein wenig rhythmischer als der Blues. Ein wenig lauter und lebendiger.

Das Stakkato des Daumenschlags beim Spielen der Basssaiten klang nach und unsere Körper reagierten auf diesen Rhythmus. Und prompt merkte ich etwas mehr Druck am Rücken. Sie rieb ihre Haut an meiner.

Meine Musik drückte Gefühle aus. Sie sollte nicht dominieren oder lenken. Sie durfte es nicht. Die Musik war der Ausdruck des Gefühls, aber nicht dessen Ursache.

Das Leben beschrieb sich immer wieder in den gleichen zwölf Halbtonschritten; aber immer wieder anders kombiniert zur Melodie unseres Daseins.

Nun lehnte ich mich selbst zurück. Verstärkte den Druck ein wenig. Nur ein wenig. Ich sah sie immer besser durch meine geschlossenen Augen.

Ein wenig improvisierte ich. Mir kamen die Harmonien von ‚Tears in Heaven’ in den Sinn. Ein Stück, so wunderschön, wie auch traurig zugleich. Kann man dies beschreiben?

Do you know my name,
If I see you in heaven.

Ich spürte Tränen. Meine Tränen. Ich dachte an dieses Jahr 2001 zurück, als ich dieses Lied erstmalig hörte. Als 9-11 geschah, als Clapton seinen Sohn verlor und ich orientierungslos umherlief.

Diese Gedanken sollten nun aber nicht mein Denken bestimmen. Also schnell auf etwas anderes fokussieren. Aber auf was? Ich konnte und ich wollte meine Gedanken nicht kontrollieren.

So hielt ich einfach inne, um meine Konzentration zu sammeln.

Man konnte den Blues nicht aus dem Kopf heraus spielen, wie es der weiße Mann meinte.

Blues kam immer aus einem schwarzen Bauch. Immer. Manche weißen Männer hatten schwarze Bäuche, wie Eric Clapton, Gary Moore oder eben Stevie Ray Vaughn.

Ich spürte diese Traurigkeit in Verbindung mit den glücklichen Momenten. Ich spürte dies Besitzen, Teilen, Loslassen und Freigeben. Ich spürte Nähe in der Distanz. Ich hatte alles und nichts zugleich.

Warum konnte ich eines davon nicht aufgeben, das andere behalten, ohne beides zu verlieren? Warum?

Sie spürte meine Verwirrung. Mein Zögern. Sie merkte, dass diese unvermittelte Stille irgendwie gebrochen werden musste, um mich aus der Melancholie zu erwecken.

Auf einmal spürte ich ganz sanft – kaum merklich – wie sich ihre Hand auf meine Hüfte legt.

Ich wagte nicht zu atmen. Reagierte nicht und fühlte mich gelähmt, doch fliegend, im Gefühl dieser zärtlichen Geste.
Ihre Hand blieb, während ich zugleich merkte, dass der Druck im Rücken nachließ, gar nicht mehr zu spüren war.
Ich war irritiert. Aber ich spürte ihre Hand und wusste. Sie war da.

Für eine Sekunde vermisste ich sie. Ich sank nach vorne, aber hielt meine Augen geschlossen, denn ich spürte ihre Hand.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich mochte ihre Hand ergreifen und öffnete meine Augen.

Ich drehte meinen Kopf und schaute mich um. Ich lehnte an einer Wand im Studio …

… und war allein.