Nach einer alten Apache-Fabel
Kern der Geschichte ist eine alte, mündlich überlieferte Indianer-Fabel. Ich durfte sie erstmalig in New Mexico lesen und sah diese wundervolle Landschaft, in der sie spielte. Die Geschichte begleitet mich nunmehr seit 1996. Nun habe ich den Eindruck, sie ist fertig.
Der Junge war noch ohne Namen. In der Sippe der Aguirre Springs Mescalero nannte man ihn nur Ye-Ha-Hanna, der Sohn der Adlerfeder, weil sein Vater so gerufen wurde.
Den eigenen Namen musste sich der Junge aber erst noch verdienen. Nur Krieger führten Namen. Sehnsüchtig warteten die Jungen auf den Tag ihrer Mutprobe, um zu beweisen, dass sie würdig waren, einen eigenen Namen zu tragen. Viele ältere Jungen trugen bereits ihre eigenen Namen. Jedes Jahr zum Zeit des großen Pow Wows wartete Ye-Ha-Hanna sehnsüchtig darauf, dass die Ältesten nun auch ihn rufen würden. So kamen die Winter, gefolgt von Sommern, auf das wieder ein Winter folgen würde.
Und dann riefen die Ältesten seinen Namen beim Pow Wow. Er hatte es fast nicht wahrgenommen. Zu oft wurden anderen Jungen gerufen. Der Junge erinnerte sich an die Aufgaben der Männer, die vor ihm gingen. Einer sollte einen Mustang fangen und es gelang ihm. Fortan nannte man ihn „Der-den-Wind-reitet“. Ein anderer sollte das Fell das schwarzen Bären bringen. Nun achteten sie ihn unter den Kriegern und nannten ihn Bärentatze.
Aber es gab auch jenen, der auszog, die Rassel einer Klapperschlange mit mindestens acht Ringen zu suchen. Ihn hat man nie wiedergesehen und sein Geist blieb verschollen.
Auch jener, der das Rätsel der vier mal vier Strahlen lösen sollte, kehrte nie heim. Ein weiterer sollte zum fernen Berg im Nebel aufbrechen und heilige Kräuter sammeln. „Rauch-der-Glücklich-macht“ wäre sein Name geworden, wenn er zurückgekommen wäre.
So war es, dass viele ihre Prüfungen nie beendeten und der Stamm viele Männer verlor.
Nun war es an Ye-Ha-Hanna. Die Ältesten wussten anfangs nicht wirklich, wie sie ihn prüfen sollten. Mit ernster Miene wandte sich in jener Nacht der Älteste der Sippe an den Jungen, der stets etwas schmächtiger als die anderen war; stets ein wenig langsamer lief und auch seltener mit seinem Bogen ein Ziel traf.
»Du hast eine besondere Aufgabe«, sprach der Älteste zu ihm: »Wandere zu den Bergen auf der anderen Seite der Ebene. Wähle den Weg entlang des weißen Sandes und suche den schwarzglänzenden Raben, in dessen Federkleid sich die Sterne der Nacht spiegeln. Nehme dir eine einzige Feder für dein Stirnband und du wirst zum Manne werden. Nur eine Feder.«
Der Alte seufzte und er dachte: ‘Diese Aufgabe bedarf keines besonderen Mutes. Weder muss er rennen noch behänd klettern. Es sollte reichen, zu überleben.‘
»Und nun geh!«, forderte der Alte und war sich fast sicher, den Jungen nie wieder zu sehen.
Ye-Ha-Hanna bedankte sich artig; hatte allerdings keine Vorstellung, was ein Rabe ist. Hier in der Wüste gab es Geier. Es gab Adler und Falken. Und natürlich die kleineren Vögel, die ihre Lieder singen, wenn die Sonne die Berge wachküsste. Oder jene Vögel, die ganz schnell mit den Flügeln flatterten und scheinbar im Fluge auf der Stelle verharren konnten.
»Aber was ist ein Rabe?«, fragte er sich.
Nach einigem Zögern und Zweifel begab sich der Junge auf den Weg zum Sierra Blanca; dem heiligen Berg, der bis in den Sommer hinein eine Kappe aus Schnee trug. Hier war er Manitou und seinen Ahnen nahe und konnte um Rat fragen.
Ye-Ha-Hanna verbrachte drei Tage und Nächte in Meditation und wartete. Er ernährte sich ausschließlich vom jungfräulichen Schnee des Himmels und den Beeren, die den Winter überstanden hatten. Aber die erhofften Zeichen blieben aus. Alles in der Hoffnung, Manitou würde ein Zeichen aus Feuer zum Aufbruch senden, der Wind würde ihn tragen, Mutter Erde den Weg weisen und das Wasser ihm Kraft geben.
Als auch weiterhin die Zeichen ausblieben, stieg er mutlos vom Sierra Blanca in die Ebene hinab und begab sich auf den beschwerlichen weiten Weg durch das trockene Tularosa Basin. Hier gab es kein offenes Wasser. Zudem war besondere Vorsicht geboten, da der weiße Mann begonnen hatte, einen Pfad für das eiserne Pferd zu bauen. Es wimmelte überall von Jägern, Fallenstellern und Fährtenlesern, die allerdings dafür bezahlt wurden, die Skalps seiner Brüder zu sammeln.
Zwei glutheiße Tage lang trank er das wenige Wasser aus seinem Wasserschlauch. Zwei klirrendkalte Nächte verbrachte er im Schutze einiger knorriger, halbvertrockneter Bäume, die mit ergrauter, rissiger Haut der Witterung zu trotzten versuchten.
So wie es die Sitte forderte, trug er lediglich ein Messer, den Wasserschlauch und einen kleinen Lederbeutel mit seinem Totem bei sich.
Am Ende der Ebene verlor sich die Hitze der Wüste mit jedem Schritt, den er zwischen den Bergen aufstieg. Vereinzelte Flecken mit dreckigbraunem Schnee zeugten von der noch fehlenden Kraft der Sonne im späten Frühjahr. Obwohl er am Sierra Blanca der Kälte in Meditation trotze, waren seine Glieder hierauf nicht vorbereitet. Seine Muskeln froren und zitterten. Fieberschübe erschütterten seinen Körper. Mit seinem Messer schnitt er einige dünne Äste von den Sträuchern und band sie zu einem Ring zusammen. Dann murmelte er einige Verse, die ihm seine Mutter lehrte und wob ein Netz aus Rindenfasern in den Ring, so dass ein Netz sich bildete. Dieser Ring sollte seinen Schlaf bewachen, die guten Träume festhalten und die Bösen gar nicht erst zulassen.
Vollkommen entkräftet sank er neben einer Schneewehe nieder. Mehr Schutz konnte er nicht finden. Ein kleines Feuer spendete zumindest seinen Gedanken noch ein wenig Wärme, bevor er mit dem Blick auf den Traumfänger gewandt, unruhig einschlief.
In dieser Nacht erschien ihm im Traum ein Fuchs. Und jener sprach mit all seiner List zu ihm:
»Was suchst du hier auf unserer Seite des Basins? Gehörst du nicht zur Aguirre-Sippe?«
Ye-Ha-Hannas Lippen formten eine lautlose Erwiderung: »Den glänzenden Raben suche ich.«
»Das trifft sich gut. Sehr gut sogar.« Und der Fuchs konnte seine Freude kaum verbergen.
»Ich kenne hier in den Bergen alle Wege. Den Weg zum Raben werde ich dir gerne weisen. Dann kannst du mir zugleich einen kleinen Gefallen tun.«
Der Fuchs hielt kurz in seiner Rede inne und betonte sichtlich, wie wichtig ihm diese „kleine“ Gegenleistung sei.
Dann fuhr er fort: »Folge dem Weg in Richtung deines Schattens, sobald die Sonne über dem Felsen erscheint und den neuen Tag begrüßt. Bald wirst du einen Canyon mit einem dünnen Rinnsal finden. Er wird dir den Weg zu den Nestern der Raben weisen. Unten, an diesem Ort, den der weiße Mann „Three Rivers“ nennt, gibt es eine große Kolonie dieser schwarzen Vögel. Erhaben über der Kolonie thront ein einzelnes Nest. Dies ist das Nest des glänzenden Raben. Sie ist die Königin der Kolonie. Sie fliegt schöner und höher als alle anderen Raben. Nehme dir all ihre Federn, auf dass sie nicht mehr fliegen kann! Und dann reiße ihre Nester aus den Bäumen. Töte die Küken. Deine Sippe wird es dir danken. Du wirst nicht nur eine armselige Feder bringen, sondern alle. Alle! Stelle Dir den tausendfachen Ruhm des Jungen vor, der seine Aufgabe nicht nur einmal erfüllt, wie der Mond am Firmament, sondern so oft, wie es Sterne am Nachthimmel gibt.«
Nochmals hielt der Fuchs inne, als wolle er sichergehen, dass der Junge verstand, während sich Ya-Ha-Hanna unruhig im Schlaf wälzte; sichtlich bemüht, seine Glieder zu wärmen.
Und der Fuchs fuhr fort: »Dein Ruhm wird tausendfach vom heiligen Sierra Blanca widerhallen.«
»Was ist dein Vorteil dabei?« entgegnete Ye-Ha-Hanna.
»Dann bin ich das intelligenteste Tier unter Manitous blauem Zelt.«, bemerkte der Fuchs leise schmunzelnd. »Aber sehe dich vor. Three Rivers ist gefährlich. Hier findest du überall in den Spalten die giftigen Schlangen mit ihren Rasseln.«
»Klapperschlangen kenne ich, seitdem ich als Kind mit der Rassel gespielt habe.«
»Aber vielleicht kennst du die Diamondbacks nicht. Sie ist hässlich, dick, aber muskulös und schnell. Und ihr Gift ist tödlicher als das anderer Schlangen. Nur klettern kann sie nicht. Daher kann sie auch dem Nest des Raben nicht gefährlich werden.«
‚…leider…‘, fügte der Fuchs in seinen Gedanken still hinzu und sein rotbraunes Fell verschwand langsam im diffusen Nebel der Träume.
Am folgenden Tag spürte Ye-Ha-Hanna die Kälte noch intensiver. Über ihm baumelte der Traumfänger leise im Wind. Einige rotbraune Haare hatten sich in diesem Netz verfangen. Der Junge konnte diese Haare nicht zuordnen und gab sie dem Wind frei. Scheinbar auf Kommando frischte der Wind auf und eine Böe erfasste die Haare und trug sie fort. Aber an den Traum erinnerte er sich nicht.
Als die helle Sonnenscheibe langsam über den Horizont kroch, fehlte ihm die Kraft, den neuen Tag gebührend zu begrüßen. Den Tag verbrachte er meditierend mit den vorgegebenen Gebeten im Einklang mit der Natur, deren Teil er war, während er sich Schritt für Schritt weiterschleppte. Gegen Abend schwächten Fieber, Schlafmangel und Hunger seinen Körper zusehend weiter. Lediglich der zwischen seinen steifen Fingern schmelzende Schnee linderte seinen Durst.
Ye-Ha-Hanna nahm den kleinen Traumfänger aus seinem Lederbeutel. Irgendetwas sagte ihm, dass er ihn immer bei sich tragen solle. Wieder hängte er das Netz über sich in die Zweige eines Strauches. Sogleich versank er wieder in einen unruhigen, oberflächlichen Schlaf. Diesmal gab es jedoch kein Feuer, dass ihn wärmen konnte.
Als die ersten Sterne am Firmament auftraten und sich auf dem glitzernden Schnee tausendfach funkelnd brachen, begegnete ihm im Traum schemenhaft ein großer Vogel. „Es mag ein Rabe sein“, dachte er, aber Ye-Ha-Hanna lag mit seiner Vermutung falsch. Zunächst nahm er den Vogel als Schatten in grauer Distanz war. Dann kamen seine Kreise immer näher. Aus der Nähe sah er, dass der Vogel sich auf dem Strauch niederließ und hörte, wie er sagte:
»Ich bin der Jäger der Nacht. Eine Eule.« Mit stechendem Blick schaute sie den Jungen an: »Verschone das Nest der Königin! Verschone ihre Küken! Achte ihr Leben! Halte sie behutsam in deinen Händen.«
Die Eule hielt inne und fügte dann nachdrücklich hinzu:
»Und gib ihr Mut zum Leben.«
Die Erinnerung des Jungen verblasste schnell als das Fieber wieder die Kontrolle über ihn gewann. Die Eule entschwand wie sie gekommen war; auf leisen Samt-Flügelschlägen im dunklen Flaum ferner Wolken.
Am nächsten Morgen fand er eine winzige Feder im Traumfänger. Er betrachtete diese Feder grübelnd. „Zu klein für einen Raben“, meinte er, erkannt zu haben. „Und schwarz ist sie auch nicht.“
Ye-Ha-Hanna folgte seinem eigenen Schatten hinunter zum Canyon, der den Lauf dreier kleinerer Flüsse vereinigte. Dort überdeckten alte, wie auch junge Bäume seinen Schatten und er verlor die Orientierung. Seinem Schatten konnten die Schritte nicht mehr folgen. Stattdessen folgten sie dem Plätschern des Bachs, wie er in kleinen Wellen in der schmalen Schlucht kristallklar über die Steine sprang. Noch bevor sich der Lauf des Bachs in der Ebene beruhigte, weitete sich der Canyon und gab den Blick auf eine seltsame Konstellation von Steinen frei. Es sah fast so aus, als hätte ein zu groß geratenes Kind mit überdimensionalen Kieselsteinen gespielt und diese hier achtlos liegen gelassen.
Diese Steine banden seine Aufmerksamkeit, wohl auch deshalb, weil schwarze Vögel über ihnen kreisten. Der Ort der Raben!
Der Junge war voller Enthusiasmus. Adrenalin und Glückshormone durchströmten seine Adern. Dennoch blieb er vorsichtig. Seine Sinne schärften sich, wie er es bisher noch nicht erlebt hatte. Seine Augen folgten den Kreisen der Raben, die im Winde tanzten. Sie schienen etwas sagen zu wollen. Nur konnte er ihren Flug nicht lesen.
Plötzlich vernahm er ein Rasseln zwischen den Steinen.
Sein Schritt stockte.
Sein Puls raste.
Sein Fuß blieb in der Luft hängen, bevor er ihn niedersetzen konnte und alle Muskeln blieben abwehrend gespannt.
Das bereits in ihm zirkulierende Adrenalin brachte das Blut zum Kochen. Instinktiv griff seine Hand nach seinem Messer, ohne jedoch den Feind zu sehen, den seine Ohren hörten. Das laute Rasseln war ihm sehr vertraut. Aber so laut, so nahe, kannte sein Hirn es nicht. Dann sah er diesen Schatten auf einem sonnendurchfluteten Stein seine eigenen Kreise tanzen. S-förmig spannte sich der Hals des Schattens zu einer Feder. Er sah nur noch die entblößten Fänge auf seinem Fuß zuschießen. Ebenso schnell verließ das Messer seine Hand und traf den Schattens in seiner Mitte. Messer und Schatten änderten ihren nunmehr nicht mehr zu trennenden Weg abrupt und sanken letzten Endes gemeinsam zu Boden.
Ye-Ha-Hanna nahm einen Stein und zerschmetterte den hässlichen, dreieckigen Kopf der Schlange. Dann zog er sein Messer aus dem zuckenden Körper und bevor er es in seinen Bund zurücksteckte, hielt er inne. Aus einem Instinkt heraus schnitt er der Schlange die Rassel ab. Man zählte acht Ringe.
Als Ye-Ha-Hanna langsam wieder zur Ruhe kam und sich niedersetzte, bemerkte er, dass die Felsen um ihn herum über und über mit Symbolen überzogen waren. Seine Vorfahren, die Anaszasi, hatten an diesem Ort ihr Leben in die Steine geritzt.
»Dieser Ort muss wahrlich heilig sein!«
Die Hände des Jungen zeichneten die verwundenen Muster in der Luft fast schon beschwörend nach. Da waren stilisierte Eidechsen und Schlangen, Bären, Schildkröten, Vögel und manche Symbole, die er nicht deuten.
Und ein Kreis, Zia genannt, symbolisierte die Sonne. Er zeichnete den Kreis gegen den Himmel nach. In jede Himmelsrichtung hatte diese Sonne jeweils vier Strahlen und Ye-Ha-Hanna murmelte: »Vier Strahlen für die Himmelsrichtungen. Vier Strahlen für Mutter Erde, die Luft, das Feuer und das Wasser. Das Leben hat vier Abschnitte: Die Kindheit, die Jugend, das Alter und sein Lebensende. Und da wären die Jahreszeiten. Es sind ebenfalls vier.«
Als er seine Erkenntnisse zusammenfasste, stockte ihm der Abend: »Dieses Symbol beinhaltet das gesamte Leben meines Stammes unter dieser einen Sonne, Zia.«
Nachdem er die Mittagshitze im Schatten verbrachte und seinen Wasserbeutel unten am Bachlauf gefüllt hatte, kehrte er zu den Felsen zurück, um seine Aufgabe zu erfüllen. Er dachte an die eindringlichen Worte des Stammesältesten: „Nehme dir eine Feder … Nur eine Feder“.
Nur wurden die Worte von einer anderen Stimme überlagert: „Nehme dir all ihre Federn, … vernichte Nester ... Töte die Küken … Warum eine Feder … begnügen, wenn man alle haben kann?“
Es ergab sich eine Melange von Sinnfetzen, die sich zu einem neuen, grauen Bild formierten.
»Deine Sippe wird es dir danken.«, sprach er vor sich hin, als er oben in einem alten Wacholder ein großes Nest erblickte. Es muss das Nest eines starken, aber verletzlichen Vogels sein, da er es hoch oben erbaute. Gewissheit bekam er, als sich der glänzende Rabe auf diesem Nest niederließ. „vernichte ihre Nester!“, kam es ihm immer wieder in den Sinn.
So begann er, den Wacholder zu erklimmen. Es gelang ihm, mit Mühen, sich von Ast zu Ast nach oben zu arbeiten. Die raue Rinde schnitt ihm immer wieder in die Haut. Äste schlugen ihm ins ungeschützte Gesicht.
»Ich werde die Eier aus dem Nest werfen«, sagte er.
Viele Herzschläge später erreichte er das Nest im Wipfel und sah, dass es leer war. Lediglich ein einsamer, wunderschöner, schwarzer Vogel bewachte es. Ein Nest ohne Küken. Er griff nach dem Nest, hielt dann aber inne. Der Rabe verließ das Nest nicht. Eine imaginäre Hemmschwelle hinderte ihn, zuzugreifen. Langsam streckte er seine Finger nach den Federn des Raben aus und der Rabe hielt inne.
„…nimm alle Federn…“. flog es ihm durch den Kopf. Andere Worte erkämpften sich sogleich ihren Weg und wieder ergab sich diese Melange verschiedener Bedeutungen. „Verschone … Nest und Küken … tausendfach danken ...“
»Dank hin oder her. Wer dankt wem wofür?«, meinte er ärgerlich. Sein Denken war von Verwirrung umgeben. Und wieder wollte er zugreifen. Durch all diese Worte sah er nicht mehr, warum er hier oben im Wacholder saß. Auch wenn es ihm möglich wäre, so hielten seine Hände wiederum im letzten Augenblick inne. Diese unsichtbare Barriere in seinem Kopf war noch immer da. Sein Blick schweifte nach oben. Der Rabe war erreichbar, aber alles war auf einmal wichtiger als diese Federn. Für Ye-Ha-Hanna wäre es lediglich ein Schmuck gewesen; für den Raben aber die Möglichkeit zu fliegen.
»Nachdenken. Denke nach!«, sagte er sich. »Was machst du hier?« Aber die Hitze des späten Tages verweigert ihm die Antwort. Seine Gedanken gingen im heißen Brei seines Hirns unter. »So kann ich es nicht.«
So entschloss er sich, hinunterzuklettern und zu meditieren. Vielleicht hat Manitou eine Antwort für ihn. Er sucht sich einen geschützten Platz am Fuße der Felsen und begab sich unter den Schutz des Traumfängers.
Während die Haare des Fuchses längst vom Winde weggetragen waren, sah der Junge noch immer die kleine Feder der Eule zwischen den Ästen hängen.
Herbwürzige, süßliche Gerüche wurden ihm vom Wind zugeweht. Es war ein angenehmer Platz und seine Gedanken fokussierten sich auf die Pethroglyphs vor ihm: einem Vogel, die Spirale des Lebens, viele Blumen in Stein geritzt und Zia, das Symbol der Sonne.
»Ich werde meine Aufgabe nicht erfüllen. Nicht um den Preis, anderen das zu nehmen, was ihnen heilig ist. Auch wenn es nur ein Vogel ist.«, sagte er sich. Mit diesen Gedanken glitt er langsam aus der Meditation in einen tiefen Schlaf hinüber. Die Strapazen der letzten Tage forderten ihren Tribut.
Am nächsten Morgen erwachte er früh. Die gleichen, sanften herbwürzigen Gerüche streichelten wieder seine Schleimhäute. Er sah, dass er auf einem Kissen, gelber Blüten lag. Die Blumen, die er als Petroglyphs bereits in Stein geritzt gesehen hatte.
»Die heilsbringenden Kräuter«, sagte er zu sich. Er schnitt einige – nicht zu viele – ab und sammelte sie in seinem Beutel.
Nun stand sein Entschluss fest. Er würde seine Mission hier und jetzt beenden und dem Raben seine Federn lassen. Und er war stolz über seine Entscheidung. Er würde erhobenen Hauptes zu seiner Sippe zurückkehren und weiterhin auf einen Namen verzichten. Er trat den langen Weg zurück nach Aguirre Springs an. Tag für Tag marschierte er durch das Basin – vorbei an mittlerweile bekannten Gefahren des weißen Mannes. Immer wieder meinte er, nicht allein zu wandern. Manchmal sahen seine Augen den diffusen Schatten eines Vogels auf dem Boden. Und ständig hatte er den Eindruck, ein Rabe würde ihn hoch oben in den Wolken begleiten. In seinen Gedanken ging seinen Weg nicht allein.
Beim Blick nach oben drehten sich seine friedvollen Gedanken nicht mehr um einen möglichen Namen. Seine Gedanken drehten sich um neue Wortfetzen: „Verschone … Nest … Küken … Achte Leben.“ Diese Bruchstücke hatten mittlerweile eine Bedeutung erlangt. Aber was sollte er mit: „Gib meinem Leben einen Sinn!“ anfangen?
Kurz bevor er die letzte Wegstrecke hoch zu den Organ Mountains antrat, legte er eine letzte Rast ein. Wie gewohnt hängte er seinen Traumfänger in die Äste eines Maulbeerstrauchs. Friedlich schloss er die Augen. Er musste müde gewesen sein. Aus der kurzen Rast im Schatten wurde schnell die ganze Nacht. Und dann sah er sie: Eine einzelne, wunderschöne, tiefblau, fast schwarz glänzende Feder hatte sich im Traumfänger verfangen.
Hoch oben kreiste nun gut sichtbar der Rabe und er meinte zu hören: »Diese Feder schenke ich dir, weil du es wert bist. Du hast das Leben gesehen. Du achtest auch die kleinen, unscheinbaren auf dieser Erde. Möge dich diese Feder ständig begleiten und zeigen, der Rabe ist immer mit dir. Mein Leben ist nun mit deinem untrennbar verwoben.«
»Dies ist der Sinn meines Lebens.«
Seine Rückkehr in Aguirre Springs wurde gebührend gefeiert, wie man auch die anderen jungen Männer zuvor in Empfang nahm. Die Ältesten des Stammes registrierten die Rassel an seinem Gürtel. Sie rochen die gelben Blüten und natürlich die schwarze Feder glänzend an der Schläfe.
Und Ye-Ha-Hanna begann die Erkenntnis des Zia-Symbols zu erläutern.
Drei Seelen seiner Brüder sind zurückgekehrt und konnten sich nun in Frieden zu den Ahnen des Stammes gesellen.
Und dann gaben sie ihm seinen Namen:
»Von nun an soll man dich RavenFox nennen. Der die Ahnen zurückbrachte.«
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